Diese Situation kennt vermutlich jeder. Noch schnell zum Supermarkt um die Ecke, die letzten Besorgungen machen. Fix alles nötige in die Einkaufstasche, ab an die Kasse. Der Aufforderung „Bitte alle Waren auf das Band legen“ brav Folge leisten und geduldig das Piepen des Scanners an der Kasse ertragen, bis man an der Reihe ist.
Als ich mich kürzlich selbst mal wieder in dieses Abenteuer stürzte, kam ich gar nicht drum herum, den Bezahlvorgang der jungen Dame vor mir zu verfolgen.
Alle Artikel der Kundin waren gescannt und brav wieder im Einkaufswagen verstaut, Bonuspunkte erfasst und nun ging es ans Bezahlen. Die Kundin wollte mit Ihrer EC-Karte zahlen. So weit ein Vorgang, wie er jeden Tag unzählige Male in deutschen Supermärkten vor kommt. Die Kassiererin fordert die Kundin mit einer sehr missverständlichen Geste zu was auch immer auf. Kundin reagiert und deutet, sie solle ihre Karte auf das Terminal auflegen zum kontaktlosen bezahlen. Piep piep piep – Ein Fehlerton!
Die gehetzte Kassiererin tippte nun wie wild auf dem Touchscreen der Kasse und brabbelte unverständliche Wortfetzen vor sich hin.
Wieder konnte die Kundin nur deuten was die Kassiererin von ihr wollte. „Nein, Moment, also…jetzt…nein…Stopp! Noch mal jetzt…Nun aber…jetzt Karte einstecken!“
Okay, so weit so gut. Die Kundin kaschiert die umgeschlagene Stimmung der Kassiererin mit einem schüchternen Lächeln in Richtung der wartenden Kunden am Kassenband.
Nun endlich, Kundin und Kassiererin haben sich verständigt, die Karte wandert ins Terminal. Kundin gibt routiniert die PIN ein und schließt den Bezahlvorgang ab.
Fix schleudert die Kassiererin noch ein paar Gutscheine in den Wage der jungen Dame und verabschiedet mit einem gehetzten „Tschüschönamnd“ (vermutlich sollte das „Tschüß, schönen Abend“ bedeuten) die Kundin, die gerade für knapp 100 Euro Lebensmittel in dem Geschäft gekauft hatte.
Jetzt kommen wir als Menschen ja gar nicht umhin, Situationen zu bewerten und zu deuten.
Es liegt nahe, in dieser Situation die Kassiererin für Ihr Verhalten gegenüber der Kundin zu verurteilen.
Was aber war im Hintergrund passiert? Welche Gründe hatte die Dame für ihre Reaktion?
Wenn wir uns vor Augen führen, dass Menschen grundsätzlich ihr Handeln immer darauf ausrichten, um positive Ergebnisse zu erzielen oder einen sinnvollen Beitrag zu leisten, dürfen wir genauer hin sehen.
Welches Ziel hatte die angestellte an der Kasse vermutlich verfolgt?
War es wirklich ihr Wunsch, die Kundin forsch abzuwatschen? Jede Wette, nein!
Die nachfolgenden Kassiervorgänge liefen zwar ebenfalls etwas unterkühlt, aber technisch reibungslos. Was man aber anerkennen muss. Die Dame war vermutlich Weltmeisterin im Scannen der Artikel. Was den einen Kunden beim Einräumen der Ware in den Wagen stressen kann, erfreut die Wartenden am anderen Ende des Kassenbandes.
Denn die Wartezeit ist maßgeblich abhängig von der Dauer der vorherigen Kassiervorgänge.
Wenn man jetzt noch in Erwägung zieht, dass die Kassiererin womöglich eine zusätzliche Kasse zur Stoßzeit geöffnet hatte und gleichzeitig aber gerade noch Regale mit neuer Ware hätte Bestücken müssen, können wir über ihre Motivation und Zielsetzung möglicherweise andere Schlüsse ziehen.
War es wirklich ihr Wunsch unfreundlich zu sein? Oder war ihr Ziel vielleicht eher, interne Vorgaben zur Dauer von Kassiervorgängen einzuhalten. Die Wartezeit der restlichen Kunden zu verkürzen, damit diese schnell nach Hause kommen? Oder hatte sie im Hinterkopf, dass die noch nicht neu bestückten Regale im Markt dazu führen könnten, dass ihr Arbeitgeber weniger Umsatz macht und somit auch sie als Angestellte betroffen sein könnte?
Natürlich, auch das sind ohne Gespräch mit der flinken Scan-Weltmeisterin nur Mutmaßungen. Aber diese kleine Geschichte aus dem Alltag zeigt, dass wir unsere Bewertungen hinterfragen dürfen und vor einer Entscheidung oder Verurteilung immer auch die Motivation der „Gegenseite“ berücksichtigen sollten.
Menschen haben meist den Wunsch Positives zu erreichen. Häufig ist lediglich die Strategie bzw. das gezeigte Verhalten zum Erreichen dieser Motive in der jeweiligen Situation unpassend.
Es ist die Aufgabe von Chefs und Führungskräften hier unterstützen tätig zu sein und zu hinterfragen, ob der Ablauf und das System ausgereift ist, bevor pauschal ein Mensch als Person für sein Verhalten verurteilt wird.